WERTHER al Wiener Staatsoper – Rezension von Natalia Dantas – Vittorio Grigolo fehlte in meiner Tasche mit Wiener Werthers –
Und’ Es kommt selten vor, dass ich eine Rezension in der Ich-Perspektive schreibe, ebenso selten, dass ich bewegt bin, im Theater wie im Leben. Aber ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mir selbst absichtlich einen Stich zufüge, wenn ich mir eine Aufführung von Massenets „Werther“ ansehe. Manchmal, wenn es Abgüsse von zweifelhafter Qualität gibt, schrecke ich sogar davor zurück, und zwar aus einem doppelten Grund: weil ich es hasse, es auseinandergerissen zu sehen, und weil ich es hasse, auseinandergerissen zu werden, wenn es sich nicht lohnt.
Die Gründe für diese Empathie mit Massenets Meisterwerk sind sehr tiefgreifend und persönlich und ich werde Ihnen hier nicht darüber erzählen; Tatsache ist, dass es für mich kein Spaziergang ist, Werther zu sehen, vor allem, wenn er gut dargestellt ist. Doch als selbstzerstörerischer Melomane kann ich nicht anders, als nach potenziell besseren Ausgaben zu suchen.
Und’ So war es auch am 31. Oktober 2019 in der Wiener Staatsoper, als meine französische Lieblingsoper in der gewohnten, inzwischen vierzehnjährigen, unerträglichen 1950er-Jahre-Vertonung von Andrei Serban inszeniert wurde.
Ich muss sie mindestens sechs oder sieben Mal in Wien gesehen haben…Allerdings war es jedes Mal ein anderes Erlebnis, denn offensichtlich haben sich die Sänger verändert, die Besetzung hat sich über die Jahre verändert. Ich habe die größten Interpreten dieses französischen Meisterwerks, das mir so am Herzen liegt, praktisch gesehen und oft rezensiert: von Roberto Alagnas gewaltigem Werther bis zu Sophie Kochs ruhiger, aber präziser Charlotte; von Ludovic Tézier, großartig sowohl als Bariton Werther als auch als Albert, bis zum fragwürdigen Jonas Kaufmann wiederum als Werther. Ganz zu schweigen von Álvarez, Elina Garança und einigen anderen, die ich hier nicht auflisten werde…ABER ich habe Vittorio Grigolo vermisst. Eine Lücke, die unbedingt geschlossen werden muss, auch wenn ich nie wirklich ein Fan unseres Nationalspielers Vittorio war
Und so steht er nun mit ganzem Herzen und Liebe auf der Wiener Bühne, unser Held. Dennoch muss ich sagen, dass er sich weder als Stimme noch als Bühnenpräsenz entstellt hat.
Was die Stimme anging, hatte er sich vorbereitet, indem er Werther mit der Matrix eines anderen vollgestopft hatte; so konnte man im ersten Akt Kraus erkennen, im zweiten Alagna, zeitweise in Kauffmans Falsetten; Sogar der große Giuseppe Sabbatini war in dieses Interpretationsrätsel einbezogen, das aber doch nicht uneinheitlich war und sich nicht allzu sehr mit dem Ausmerzen der Klänge beschäftigte. Das Falsett wurde, soweit es der französische Gesang zulässt, nicht verschont, sondern, um ehrlich zu sein, gemildert. Seltsamerweise hatte Grigolo jedoch im starken Stück „Porquoi me reveiller“ Angriffsprobleme”: gerade indem er diesen Satz in den Verlauf der sehr berühmten Arie einfügt. Aber mit dem geschickten Rubato und der Hilfe des Maestro gelang ihm das sehr gut.
Immer voller Herz, Liebe und Verzweiflung, aber was war ein bisschen’ Grigolos gestikulierende Interpretationsbewegung auf der Bühne war übertrieben, ebenso wie die unmotivierten Grimassen, die er (ohne technischen Grund für die Emission) auf seiner Maske machte; was im Gegensatz zur eisigen Kälte von Elena Maximova und Charlotte stand, die selbst stimmlich nur in zwei Momenten der Oper zum Ausdruck kam: im dritten Akt, in der Briefarie und in “Gehen! Lass meine Tränen fließen”.
Tolle Abwesenheit für alle, ein wenig auch für Sophie’ farblos von Ileana Tonca, für Adrian Eröds würdevoller Albert und für die Nebendarsteller war es französische Diktion: Keiner konnte ein Wort der Serie verstehen…
Was er ein wenig hinterlassen hat’ Freddini war auch die Regie von Frédéric Chaslin: Sie schien kraftvoll, manchmal prägnant…in anderen verlor es jedoch die dramatische Spannung, wie im berühmten Intermezzo zwischen dem 3. und 4. Akt. Da musste der Spannungsfaden sehr gespannt gehalten werden, doch leider löste er sich hier und da in eine dem Ganzen abträgliche Fragmentierung, die in den Händen der Wiener durchaus sensationell hätte werden können. Ein Dankeschön an die wunderbare Blechbläsersektion.
Kurz gesagt: eine insgesamt angenehme Inszenierung, die ich mir nicht entgehen lassen sollte, um sie in meine persönliche Sammlung der interessantesten Wiener Werthers, die ich bisher gesehen habe, aufzunehmen, während mein Freund und wertvoller Mitarbeiter Neco Verbis mich mit Kleenex versorgte, um die Tränen zurückzuhalten, die unweigerlich flossen , besonders im zweiten Akt mit “Ein anderer ist ihr Ehemann!” und mit “Ja! was sie mir befiehlt...zu ihrer Ruhe...ich werde es tun!”… Ganz zu schweigen vom oben erwähnten Zwischenspiel.
Leider landete der Stich auch dieses Mal. Leider oder zum Glück? Vielleicht zum Glück, denn die Tiefe dieser Musik und dieses Gesangs wirkt am Ende immer therapeutisch auf meinen Geist; und wie wir wissen, ist der Körper, solange man auf dieser Erde ist, untrennbar mit dem Geist verbunden.
Triumph für die Darsteller, insbesondere für Grigolo, der uns jedoch keinen seiner eigenen gespart hat “grigolat”, endlich auf der Bühne mit einem auffälligen weißen Tanktop mit der Aufschrift darauf ” I ♥ U STEFI“ und eine Rose in der Hand. Aber es gab nichts zu meckern: nur zu lächeln, nachdem man so einen Werther im vierten Akt mit der Klasse eines vollendeten Schauspielers sterben sah.
Alles in allem ging die große Menge an Taschentüchern nicht verloren.
Natalia Di Bartolo
PHOTOS © Wiener Staatsoper| Michael Pöhn